Mietrecht


Bürgenhaftung bei Ausübung einer Verlängerungsoption

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.04.2016 – 24 W 12/16 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Häufig wird in einem Mietvertrag als Sicherung vereinbart, dass ein Dritter als selbstschuldnerischer Bürge für mögliche Ansprüche des Mieters gegen einen Mieters mit einstehen soll. Doch hier ist, wie die Entscheidung des OLG Düsseldorf verdeutlicht, Vorsicht geboten.

                                         

In dem vom OLG im Rahmen einer Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe zu entscheidenden Fall, hatte die Ehefrau des Mieters die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Verpflichtungen ihres (zwischenzeitlich verstorbenen) Ehemanns aus einem von diesem mit der Klägerin abgeschlossenen Mietvertrag übernommen. Der Mietvertrag wurde am 20.03.1997 geschlossen; dazu übernahm die Ehefrau (ob wirksam, hat das OLG auf sich beruhen lassen, allerdings auch bezweifelt) durch Unterschrift auf der Vertragsurkunde als „selbstschuldnerische Bürgin“ die Bürgschaft. Unabhängig davon, ob dies dem Schriftformerfordernis für eine Bürgschaft genügt, würde sich die verklagte Ehefrau  jedenfalls auf § § 767 Abs. 1 S. 3 BGB berufen können. Dort heißt es: „Durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft vornimmt, wird die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert.“ 

 

 

Streitgegenständlich sind ausschließlich Forderungen der Klägerin, die nach der Ausübung eines mietvertraglich vorgesehenen Optionsrechts durch den Mieter entstanden sind. Dies stellt sich, so das OLG, als ein rechtsgeschäftliches Handeln iSv. § 767 Abs. 1 S. 3 BGB dar. Mit dieser Regelung würde auch das mit § 766 S. 1 BGB (Schriftformerfordernis) verfolgte Anliegen durchgesetzt, den Bürgen nicht mit einem unkalkulierbaren Risiko zu überziehen. Es sollen für künftige Verbindlichkeiten Grenzen gesetzt werden. Es solle auch verhindert werden, dass durch ein zusammenwirken von Gläubiger und Hauptschuldner nachträglich das Haftungsrisiko des Bürgen verschärft wird, die für den Bürgen bei Eingehen der Bürgschaft nicht erkennbar waren. 

 

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 11. Dezember 2015 aufgehoben und die Sache an das Landgericht mit der Maßgabe zurückverwiesen, dass die beantragte Prozesskostenhilfe nicht wegen mangelnder Aussicht der Rechtsverteidigung auf Erfolg zurückgewiesen werden kann.

Dem Landgericht wird aufgegeben, über den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist gemäß §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig und begründet.

I. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung hat die von der Beklagten beabsichtigte Rechtsverteidigung nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand im Sinne von § 114 S. 1 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Klägerin kann die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht auf der Grundlage von §§ 765 Abs. 1, 767 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den mietvertraglichen Bestimmungen auf Begleichung der Klageforderung in Anspruch nehmen.

1. Zweifeln unterliegt bereits, ob sich die Beklagte durch ihre Unterschrift über dem Text

"selbstschuldnerische Bürgin

Ehefrau"

unterhalb der Unterschrift ihres inzwischen verstorbenen Ehemannes M K auf der Mietvertragsurkunde vom 20. März 1997 im Sinne von §§ 765 Abs. 1, 766 S. 1, 126 Abs. 1 BGB wirksam verbürgt hat.

Denn ist - wie durch § 766 S. 1 BGB - durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, muss die von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnete Urkunde nach § 126 Abs. 1 BGB das gesamte formbedürftige Rechtsgeschäft enthalten. Welchen Mindestinhalt die Urkunde haben muss, ist der jeweils maßgebenden Formvorschrift unter Berücksichtigung von deren Zweck zu entnehmen, hier also der Vorschrift des § 766 BGB.

Das Schriftformerfordernis für die Bürgschaftserklärung bezweckt die Warnung des Bürgen vor der mit der Bürgschaft verbundenen strengen Haftung. Der Warnfunktion wird nicht schon dadurch genügt, dass der Bürge überhaupt ein Schriftstück unterzeichnet, aus dem sich sein Verbürgungswille ergibt. Vielmehr ist das zu übernehmende Risiko in der Urkunde zu bezeichnen und einzugrenzen und so dem Bürgen bei Abgabe der Bürgschaftserklärung vor Augen zu führen. Der Bundesgerichtshof fordert deshalb in ständiger Rechtsprechung neben der Erklärung des Willens, für eine fremde Schuld einzustehen, auch die Bezeichnung des Gläubigers, der verbürgten Hauptschuld und damit des Hauptschuldners (BGH, Urteil vom 2. Februar 1989, Az. IX ZR 99/88, zitiert nach juris, Rdnr. 15-17 m. w. Nachw.). Verbleibende Unklarheiten gehen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zulasten des Gläubigers (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2003, Az. XI ZR 363/02, zitiert nach juris, Rdnr. 17).

Ob das vorliegende Vertragsformular diesen Anforderungen gerecht wird, unterliegt berechtigten Zweifeln. Denn tatsächlich ist unklar, in welchem Umfang die Beklagte für die diversen von ihrem verstorbenen Ehemann mietvertraglich übernommenen Verpflichtungen haften will und soll.

2. Diese Rechtsfrage bedarf indes keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls vermag sich die Beklagte hinsichtlich der Klageforderung auf die Regelung des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB zu berufen.

Gemäß § 767 Abs. 1 S. 3 BGB wird die Verpflichtung des Bürgen durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft vornimmt, nicht erweitert.

a) Streitgegenständlich sind hier ausschließlich solche Forderungen, die erst nach Ablauf des in § 2 Nr. 1 des Mietvertrages ursprünglich vereinbarten Vertragsendes zum 15. April 2007 und nach Ausübung der vertraglich vereinbarten Verlängerungsoption entstanden sind.

Ausweislich § 2 Nr. 1 des streitgegenständlichen Mietvertrages vom 20. März 1997 (Bl. 13 ff. d. GA) begann das Mietverhältnis am 16. April 1997 und lief über einen Zeitraum von 10 Jahren, also bis einschließlich 15. April 2007.

Gemäß § 2 Nr. 2 des Mietvertrages hatte der Mieter die Option zur Fortführung des Mietvertrages um jeweils fünf Jahre. Diese Option sollte nach der mietvertraglichen Regelung in § 2 Nr. 2 S. 2 wirksam werden, "wenn der Mieter diese spätestens 6 Monate vor Beendigung der laufenden Vertragszeit schriftlich dem B. gegenüber erklärt" (vgl. Bl. 13 d. GA). Die Ausübung der vertraglich eingeräumten Option erfolgt demgemäß durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. Leonhard in: Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer, Gewerberaummiete, 1. Aufl. 2015, vor § 535 BGB Rdnr. 549), mithin durch Rechtsgeschäft.

b) Gemäß § 767 Abs. 1 S. 3 BGB wird die Verpflichtung des Bürgen durch ein solches vom Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft getätigtes Rechtsgeschäft aber gerade nicht erweitert.

Mit dieser Regelung wird das auch mit § 766 S. 1 BGB verfolgte Anliegen durchgesetzt, die Bürgenhaftung nicht völlig unkalkulierbar werden zu lassen. Der in § 767 Abs. 1 S. 3 BGB festgeschriebene Rechtsgedanke zieht auch der Bestimmung der Bürgschaftsschuld insbesondere für künftige Verbindlichkeiten Grenzen (Rohe in: Beck'scher Online-Kommentar BGB, Stand: 01.02.2016, § 757 BGB Rdnr. 15). § 767 Abs. 1 S. 3 BGB bezweckt nicht nur, den Bürgen vor einer späteren Erhöhung seiner Verpflichtung, der er nicht zugestimmt hat, zu schützen. Die Vorschrift soll auch verhindern, dass Gläubiger und Hauptschuldner durch eine nachträgliche Absprache das Haftungsrisiko des Bürgen in einer Weise verschärfen, die für ihn bei Abschluss des Bürgschaftsvertrags nicht erkennbar war (BGH, Urteil vom 3. November 2005, Az. IX ZR 181/04, NJW 2006, 228, 230 m. w. Nachw.).

c) Demgemäß umfasst eine sich auf alle Forderungen aus dem Mietverhältnis erstreckende Bürgschaftserklärung der Beklagten aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB jedenfalls nicht solche Forderungen, die – wie die streitgegenständlichen Forderungen - aus einem nach Ausübung einer entsprechenden Option verlängerten Mietvertrag resultieren.

d) Das Urteil des 15. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 2005 (Az. 15 U 35/04) steht der hier vertretenen Auffassung des Senats nicht entgegen. Zwar hat sich der 15. Zivilsenat in den Entscheidungsgründen seines Urteils für eine zwischen einer durch Verlängerung der vertraglich vereinbarten Laufzeit des Vertrages erfolgende Fortsetzung des ursprünglichen Mietvertrages einerseits und durch einen Nachtrag begründete neue Verbindlichkeiten andererseits differenzierende Betrachtung ausgesprochen. Indes handelt es sich insoweit nicht um tragende Erwägungen des Urteils. Zudem hat sich der 15. Zivilsenat in seinem Urteil nicht näher mit den diversen zu § 767 Abs. 1 S. 3 BGB ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes auseinandergesetzt. Eine von der Auffassung des 15. Zivilsenats abweichende Sichtweise ist daher jedenfalls vertretbar und eine auf § 767 Abs. 1 S. 3 BGB gestützte Rechtsverteidigung der Beklagten in der Folge keineswegs ohne jede Aussicht auf Erfolg.

3. Die wie vorstehend dargelegt nicht aussichtslose Rechtsverteidigung der Beklagten erscheint auch nicht mutwillig im Sinne von § 114 S. 1 ZPO.

4. Derzeit nicht festzustellen vermag der Senat indes, ob die Beklagte tatsächlich bedürftig im Sinne von § 115 ZPO ist. In der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat sie unter lit. E Nr. 1 offenbart, Einnahmen aus "Selbständiger Arbeit/Gewerbebetrieb/Land- und Forstwirtschaft" zu erzielen, ohne diese zu beziffern. Der von der Beklagten zu Belegzwecken beigefügte "Vorjahresvergleich August 2015" (Belege 2, Bl. 10 f. Pkh-Heft) erweist sich als wenig aussagekräftig. Der Senat vermag daher nicht abschließend zu beurteilen, wie und wovon die Beklagte ihren Lebensunterhalt bestreitet. Die Beklagte wird daher ihre Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu ergänzen haben, bevor das Landgericht eine abschließende Entscheidung zu treffen in der Lage sein wird.

II. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; die am Beschwerdeverfahren Beteiligten haben einander gemäß § 127 Abs. 4 ZPO keine Kosten zu erstatten.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beläuft sich auf bis € 7.000,00.