Versicherungsrecht


Wohngebäudeversicherung: Zur Auslegung des Begriffs der mitversicherten „Einfriedung“

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 02.01.2018 -  4 U 1400/17 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Nach den Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung  (Beklagte) waren u.a. „Einfriedungen (und zwar ausschließlich Zäune, Mauern und Hecken“  mitversichert gewesen; vom Versicherungsschutz waren Erdfall und Erdrutsch umfasst. Unter Berufung auf diese Regelung machte die Klägerin als Versicherungsnehmerin Ansprüche geltend. Betroffen war eine Trockenmauer, die – da das Grundstück auf einer Feldkante hoch über einen Wanderweg liegt – an der felskante bis zur Höhe des Grundstücksniveaus reichte. Auf der Trockenmauer befand sich ein Holzzaun. Die Trockenmauer senkte sich im Spätherbst 2015 an einigen Stellen ab, wodurch einzelne Steine und Felsbrocken auf den darunter verlaufenden Wanderweg stürzten. Die Klägerin ließ eine Notsicherung der Trockenmauer und eine Hangsicherung vornehmen und vertrat die Ansicht, die Trockenmauer stelle eine Einfriedung des Grundstücks dar und deshalb handele es sich um eine versicherte Maßnahme, da der Einsturz des Erdbodens und das Abrutschen naturbedingt gewesen seien. Von der Beklagten wurde die Ansicht vertreten, die Trockenmauer habe lediglich Stützfunktion und stelle sich nicht als versicherte Einfriedung dar, da sie nicht vor unbefugten Betreten und unerwünschter Einsicht schütze.

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In seinem Hinweisbeschluss (auf den dann die Berufung zurückgenommen wurde) wies das OLG auf die fehlende Erfolgsaussicht der Berufung nach § 522 ZPO hin.

 

Unter Verweis auf das Urteil des BGH vom 18.10.2017 - IV ZR 188/16 -  wurde vom OLG angemerkt, dass für das Verständnis einer versicherungsvertragliche Klausel darauf abzustellen sei, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese bei verständiger Würdigung nach Durchsicht ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse nach dem erkennbaren Sinnzusammenhang verstehen würde. Damit sei in erster Linie vom Wortlaut auszugehen und der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zwecke und der Sinnzusammenhang seien zusätzlich zu berücksichtigen, soweit für den Versicherungsnehmer erkennbar.

 

Die Trockenmauer, auf der der Zaun stand, würde, so das OLG, von dem verständigen Versicherungsnehmer nicht als Einfriedung angesehen werden. Ein verständiger Versicherungsnehmer würde, den der Begriff Einfriedung nicht geläufig sei, annehmen, dass die Versicherungsbedingungen hier mit den allgemeinen nachbarrechtlichen Regelungen in §§ 921ff BGB sowie den landesrechtlichen Nachbarrechtregelungen identisch seien. §§ 4ff SächsNRG regele insoweit ausdrücklich die Errichtung und Unterhaltung von Einfriedungen. Darunter würde das Gesetz die Einrichtungen an oder auf der Grundstücksgrenze verstehen,  die dazu bestimmt seien, das Grundstück ganz oder teilweise zu umschließen und nach außen abzuschirmen, um so ein unberechtigtes Betreten oder Verlassen zu verhindern oder sonstige störende Einwirkungen abzuwehren. Damit sei nicht vereinbar eine Einfriedung, die lediglich der Grenzscheidung diene.

 

 

Zwar mag vorliegend der Zaun, der auf der Mauer angebracht war, dazu gedient haben, ein unberechtigtes Betreten oder Verlassen des Grundstücks zu verhindern. Nicht aber die Trockenmauer, die auf dem Grundstücksniveau endete. Diese habe lediglich dazu gedient, das Erdreich auf dem klägerischen Grundstück vor einem Abrutschen zu schützen. Die Einfriedungsfunktion habe daher lediglich der Zaun auf der Mauer erfüllt. 

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16.01.2018 wird aufgehoben.

4. Es ist beabsichtigt, den Gegenstandswert des Verfahrens auf 28.653,32 EUR festzusetzen.

Gründe

I.

 

Die Klägerin macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten gehaltenen Wohngebäudeversicherung für das Hausgrundstück B... Weg ... in H..., Ortsteil R... geltend. Versichert sind nach 1.1.1 Abs. 2 der Leistungsbausteine Wohngebäudeversicherung u.a. „Einfriedungen (und zwar ausschließlich Zäune, Mauern, Hecken)“. Vom Versicherungsumfang umfasst ist der Erdfall und der Erdrutsch. Die Ortsgrenze des versicherten Grundstücks liegt auf einer Felskante hoch über einem Wanderweg. An dieser Felskante befindet sich bis zur Höhe des Grundstücksniveaus eine Trockenmauer. Auf der Trockenmauer befand sich ein Holzzaun. Die Trockenmauer senkte sich im Spätherbst 2015 an einigen Stellen ab, wodurch einzelne Steine und Felsbrocken auf den Wanderweg stürzten. Die Klägerin ließ eine Notsicherung ihrer Trockenbauer für 2.497,03 EUR brutto vornehmen und zahlte für Hangsicherungsmaßnahmen 11.227,35 €. Sie meint, die Trockenmauer sei als Einfriedung vom Versicherungsschutz umfasst. Es handele sich auch um ein versichertes Ereignis, da der Einsturz des Erdbodens und das Abrutschen von Gesteins- oder Erdmassen naturbedingt gewesen sei. Die Beklagte ist der Auffassung, die Trockenmauer habe ausschließlich Stützfunktion und stelle daher keine versicherte Einfriedung dar, weil sie nicht vor unbefugtem Betreten und unerwünschter Einsicht schütze. Es liege auch kein versichertes Ereignis vor.

Das Landgericht Dresden hat die Klage mit Urteil vom 29.08.2017 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die die Auffassung vertritt, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Trockenmauer nicht als Einfriedung im Sinne der Versicherungsbedingungen angesehen und sich für seine Auffassung vorschnell auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden gestützt, obwohl der Sachverhalt mit der hier gegebenen Konstellation nicht vergleichbar sei. Hierbei habe es verkannt, dass eine Einfriedung nicht nur zum Schutz gegen unerwünschtes Betreten diene, sondern immer auch anzeige, wo die Grundstücksgrenze liege, bis zu der der Eigentümer eine Verkehrssicherungspflicht übernehmen wolle. Zu Unrecht habe das Landgericht es auch abgelehnt, die Trockenmauer als Hofbefestigung im Sinne der Bedingungen anzusehen. Es stelle eine Überraschungsentscheidung dar, hierunter nur Steinpflasterungen zu fassen. Das Landgericht habe überdies kein Gutachten zu der Frage eingeholt, ob eine versicherte Gefahr vorliege. Daher sei auch nicht über den Antrag Ziffer 1 (Feststellungsantrag) entschieden worden. Schließlich seien die Gefahrenabwehrkosten ebenfalls erstattungsfähig.

 

II.

 

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

 

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Leistung aus dem Wohngebäudeversicherungsvertrag zu. Denn es wurde keine versicherte Sache i.S.v. Ziffer 1.1.1 (2) der Versicherungsbedingungen beschädigt. Dort ist folgendes geregelt:

 

„(2) Sonstige versicherte Grundstücksbestandteile

Versichert sind außerdem sonstige Bestandteile des im Versicherungsschein bezeichneten Grundstückes, und zwar:

- Einfriedungen (und zwar ausschließlich Zäune, Mauern, Hecken),

- Hof- und Gehsteigbefestigungen, ...“

 

Bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. Urteil vom 18.10.2017 - IV ZR 188/16) darauf an, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (so BGH, aaO.).

 

Die Trockenmauer, auf der der Zaun stand, wird von einem verständigen Versicherungsnehmer im vorliegenden Fall nicht als Einfriedung angesehen werden. Der verständige Versicherungsnehmer, dem dieser Rechtsbegriff nicht auf Anhieb geläufig ist, wird annehmen, dass die Versicherungsbedingungen insofern mit den allgemeinen nachbarrechtlichen Regelungen in den §§ 921ff. BGB sowie §§ 4ff. SächsNRG identisch sind und wird sich ggfs. dort über das Verständnis dieses Begriffes orientieren. Während die §§ 921, 922 BGB lediglich Regelungen über sog. Grenzanlagen enthalten, also über Einrichtungen, deren Zweck es ist, die Grundstücke voneinander zu trennen, regeln die §§ 4ff. SächsNRG ausdrücklich die Errichtung und Unterhaltung von Einfriedungen. Hierunter versteht das Gesetz eine Einrichtung, die an oder auf einer Grundstücksgrenze steht und dazu bestimmt ist, das Grundstück ganz oder teilweise zu umschließen und nach außen abzuschirmen, um unbefugtes Betreten oder Verlassen zu verhindern oder sonstige störenden Einwirkungen abzuwehren (vgl. Thomas/Schlüter, SächsNRG, 2. Aufl. § 4 Rn 4; entsprechend für andere Landesnachbarrrechtsgesetze etwa Postier, Brandenburgisches Nachbarrecht, § 28 Anm. 1; Bauer/Hülbusch/Schlick/Rottmüller Thüringer Nachbarrecht, 3. Aufl. § 39 Anm. 2). Mit diesem Verständnis ist es nicht vereinbar, jedwede Einrichtung als Einfriedung im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen, die ohne eine solche Abschirmungsfunktion lediglich zur Grenzscheidung dient. Ein hierin zum Ausdruck gebrachter Wille des Eigentümers, lediglich innerhalb der Grenzen einer solchen Einrichtung die Verkehrssicherungspflicht zu übernehmen, wäre ohnehin rechtlich unwirksam und damit bedeutungslos. Denn die tatsächliche Haftung des Grundstückseigentümers und/oder Besitzers richtet sich nicht danach, ob und insbesondere wo er eine Einfriedung oder eine Stützmauer anbringt. Sie kann vielmehr - etwa bei Anliegerpflichten - sogar über den Bestand des Grundstücks hinausgehen.

 

Dem konstitutiven Zweck einer Einfriedung - nämlich das Verlassen oder Betreten des Grundstückes zu verhindern - mag vorliegend zwar der Zaun dienen, der auf der Trockenmauer steht, nicht aber die Trockenmauer selbst. Diese endet auf der Höhe des Grundstücksniveaus und kann für sich gesehen das Grundstück weder gegen unbefugtes Betreten noch Verlassen des Grundstückes sichern. Ihr Zweck besteht ersichtlich allein darin, das Erdreich auf dem klägerischen Grundstück vor dem Abrutschen zu schützen. Die Trockenmauer steht - wie aus dem Lichtbild der Anlage K 3 ersichtlich ist - auf gewachsenem Fels mit Felsspalten und endet auf dem Grundstücksniveau. Die Einfriedungsfunktion erfüllt allein der auf ihr stehende Zaun. Ob der vom Oberlandesgericht Dresden in seiner Entscheidung vom 29.12.2014 - 7 U 1199/14 - entschiedene Fall mit dem vorliegenden vergleichbar ist, kann unter diesen Umständen dahinstehen.

 

Die Trockenmauer stellt auch keine Hofbefestigung i.S. der Versicherungsbedingungen der Beklagten dar. Eine Hofbefestigung ist mit dem Grund und Boden als solchem verbunden und dient dem Zweck, das Grundstück zu erschließen und zugänglich zu machen. Die hier in Rede stehende Trockenmauer stellt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, von dem auch der verständige Versicherungsnehmer ausgehen wird, keine Hofbefestigung dar. Sie begrenzt das Grundstück zu der steil abfallenden Seite des Grundstückes und sichert das Erdreich gegen Abrutschen.

 

Da schon keine versicherte Sache beschädigt wurde, kommt es nicht mehr darauf an, ob sich die versicherte Gefahr „Erdfall“ oder/und „Erdrutsch“ verwirklicht hat, denn eine Eintrittspflicht der Beklagten scheidet aus. Ebenfalls unerheblich ist daher, ob und welche Kosten für die Notbefestigung und die Teilsanierung angefallen sind.

 

Der Gegenstandswert setzt sich zusammen aus der eingeklagten Forderung i.H.v. 13.724,38 EUR und 2/3 - hier 14.928,94 EUR - der Kosten für die Reparaturmaßnahmen von 22.393,41 EUR.