Werkvertragsrecht


Widerrufsrecht zum Nachtrag eines Werkvertrages (Bau- oder Verbrauchervertrag)

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.04.2023 - 8 U 17/23 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der Kläger begehrte die Rückzahlung gezahlten Werklohns. Er hatte mit dem Beklagten einen Werkvertrag für Innenausbauarbeiten an seinem Privathaus abgeschlossen. Später schloss er mit dem Beklagten auf der Baustelle Nachträge zu weiteren Arbeiten zu jeweils festgelegten Preisen; eine Widerrufsbelehrung erfolgte nicht. Der Kläger erklärte den Widerruf des Vertrages und forderte den gezahlten Werklohn zurück. Die Klage auf Rückzahlung des Werklohns hatte im Hinblick auf die Nachträge Erfolg. Das OLG wies die dagegen vom Beklagten eingelegte Berufung zurück.

 

Nachträge zu einem Werkvertrag, die (wie hier) eine zusätzliche Vergütung für zusätzliche Arbeiten zum Gegenstand hätten. Seien selbständige Werkverträge. Sie würden durch Angebot und Annahme zustande kommen. Daher könnten sie auch unter den Voraussetzungen der §§ 312v 312g BGB selbständig widerrufen werden. Dabei käme es nicht darauf an, ob es sich bei dem hauptvertrag um einen Bauvertrag nach § 650a BGB oder um einen Verbrauchervertrag nach § 650i BGB handele.  Auch wenn die nach dem Nachtrag zu erbringenden Leistungen nur solche nach dem Hauptvertrag ergänzen würden oder nur solche zusätzlichen Leistungen beinhalte, die zur Herstellung eines funktionstauglichen Werks erforderlich seien (§ 650b Abs. 1 BGB), würde an der rechtlichen Selbständigkeit nichts ändern.

 

§ 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB würde für das Widerrufsrecht nur fordern, dass der vertrag außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen sei. Überraschungs- und/oder Überrumpelungsmomente müssten nicht vorliegen, wobei es auch auf eine konkrete Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers nicht ankäme.

 

Gegen nachteilige Folgen eines Widerrufs könne sich der Unternehmer dadurch schützen, dass er den Verbraucher übers ein Widerrufsrecht belehrt und ein ausdrückliches Leistungsverlangen des Verbrauchers vor Ablauf der Widerrufsfrist sich von diesem unter Zeugen bestätigen ließe,  § 357a Abs. 2 Nr. 1 BGB.

 

 

Da der Beklagte nach dem Inhalt des Vertrages nicht die Lieferung von Waren schuldete, auch wenn es zur Durchführung der Arbeiten der Materialien bedurft habe, handele es sich gleichwohl um Werk-/Bauverträge, die dem Anwendungsfall des § 312g Abs. 2 N. 1 BGB (Lieferung von nicht vorgefertigten Waren, die nach individueller Vorgabe des Verbrauchers gefertigt werden oder auf seine persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind) nicht unterfallen (BGH, Urteil vom 30.08.2018 – VII ZR 243/17 -).

 

Aus den Gründen:

 

A. Beschluss vom 14.04.2023

 

Tenor

 

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22.12.2022 – 5 O 11/22 – wird einstimmig zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.376,41 € festgesetzt.

 

Gründe

 

Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO für die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss liegen vor. Die Berufung des Beklagten ist offensichtlich unbegründet. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Berufungsgerichts.

 

1. Der Senat hat in dem Hinweisbeschluss vom 20.03.2023 die Gründe für die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Einzelnen dargelegt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Die Stellungnahme des Beklagten vom 21.02.2023 rechtfertigt keine andere Beurteilung und gibt nur Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:

 

a. „Nachträge“, die - wie im Streitfall - die Vereinbarung einer (zusätzlichen) Vergütung für zusätzliche Leistungen des Unternehmers zum Gegenstand haben, sind rechtlich selbstständige Werkverträge, weil sie - wie der Hauptvertrag - durch Angebot und Annahme zustande gekommen sind. Sie können daher unter den Voraussetzungen der §§ 312b, 312g BGB (oder den bei zusätzlichen Leistungen nur selten gegebenen Voraussetzungen der §§ 650i, 650l BGB) selbstständig widerrufen werden. Für die rechtliche Einordnung von Nachtragsvereinbarungen als selbstständige Werkverträge macht es keinen Unterschied, ob es sich bei dem Hauptvertrag um einen Bauvertrag im Sinne des § 650a BGB oder um einen Verbraucherbauvertrag im Sinne des § 650i BGB handelt. Auch der Umstand, dass Nachtragsvereinbarungen insbesondere dann mit dem Hauptvertrag „zusammenhängen“, wenn sie die nach dem Hauptvertrag geschuldeten Leistungen nur ergänzen oder lediglich solche zusätzlichen Leistungen zum Gegenstand haben, die zur Herstellung eines funktionstauglichen Werks erforderlich sind (vgl. § 650b Abs. 1 BGB), ändert nichts daran, dass die von den Parteien getroffene Abrede über den zusätzlichen Leistungsinhalt und dessen Vergütung - also die Nachtragsvereinbarung - ein selbstständiger Werkvertrag ist.

 

b. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB kommt es für das Widerrufsrecht nur darauf an, dass der Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen erfolgt ist. Auf eine konkrete Überraschung oder Überrumpelung kommt es nicht an. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Überrumpelungssituation im konkreten Fall kausal zum Vertragsschluss durch den Verbraucher geführt hat.

 

Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/12637, S. 49) und der Erwägungsgrund 21 der Verbraucherrichtlinie 2011/83/EU gebieten keine einschränkende Auslegung des Gesetzeswortlauts. Sie machen im Gegenteil deutlich, dass dem Verbraucher ein Widerrufsrecht bereits deshalb eingeräumt wird, weil er außerhalb von Geschäftsräumen „möglicherweise“ psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist. Nach diesem typisierten Maßstab kommt es auf eine konkrete Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers im Einzelfall nicht an.

 

Der Unternehmer kann den für ihn nachteiligen Folgen des Widerrufs dadurch begegnen, dass er den Verbraucher über das Widerrufsrecht belehrt und ein ausdrückliches Leistungsverlangen des Verbrauchers vor Ablauf der Widerrufsfrist sich von diesem schriftlich oder in Gegenwart von Zeugen bestätigen lässt (vgl. § 357a Abs. 2 Nr. 1 BGB).

 

c. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, liegt der Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht vor. Auch wenn die von dem Beklagten eingebauten Materialien nach den planerischen Vorgaben des Klägers hergestellt und eingepasst wurden, schuldete der Beklagte nach dem Inhalt der geschlossenen Verträge nicht die Lieferung von Waren, sondern ein funktionstaugliches Werk, nämlich den Innenausbau des Dachgeschosses des Klägers. Hierbei handelt es sich um Werkverträge (Bauverträge), die dem Anwendungsbereich des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht unterfallen (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 2018 – VII ZR 243/17 –, juris Rn. 22 ff.).

 

d. Der Widerruf ist aus den im Hinweisbeschluss genannten Gründen auch nicht treuwidrig.

 

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. §§ 48 GKG, 3 ZPO.

 

B. Hinweisbeschluss vom 20.03.2023

 

Tenor

 

1. Der Beklagte wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Der Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme bis 12.04.2023.

 

Gründe

 

Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO beruht, noch die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 ZPO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Berufungsgerichts. Schließlich erscheint auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten.

 

1. Das Landgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung von 1.909,95 € nebst Zinsen verurteilt und die Widerklage des Beklagten zu Recht abgewiesen. Die Berufung zeigt weder eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung noch eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landgericht auf. Der Kläger hat die von dem Beklagten mit Rechnungen vom 06.04.2021 über 719,95 € (Anlage B 6), vom 19.05.2021 über 1.190 € (Anlage B 7) und vom 01.10.2021 über 6.466,46 € (Anlage B 1.2) abgerechneten Bauverträge wirksam gemäß §§ 312b Abs. 1 Nr. 1, 312g Abs. 1 BGB widerrufen. Er hat daher gemäß §§ 355 Abs. 3 S. 1, 357 Abs. 1 BGB (in der Fassung vom 20.09.2013) Anspruch auf Rückzahlung von 1.909,95 €. Dem Beklagten steht hingegen für die mit Rechnung vom 01.10.2021 abgerechneten Leistungen kein Werklohnanspruch gemäß § 631 Abs. 1 BGB zu.

 

a. Bei allen drei genannten Bauverträgen handelt es sich um außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gemäß § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB. Die über 719,95 € und über 1.190 € abgerechneten Verträge wurden nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts mündlich auf der Baustelle geschlossen. Der (seitens des Klägers bestrittene) Vertragsschluss über die mit 6.466,46 € abgerechneten Leistungen ist nach dem Sachvortrag des Beklagten (Schriftsatz vom 01.04.2022, S. 2; I 65), den sich der Kläger hilfsweise zu eigen gemacht hat, ebenfalls mündlich auf der Baustelle erfolgt.

 

b. Soweit die Berufung einwendet, ein Widerrufsrecht gemäß §§ 312b, 312g BGB bestehe nicht separat bezüglich der Nachträge, diese gehörten untrennbar zu dem (nicht wirksam widerrufenen) Hauptauftrag, kann dem nicht gefolgt werden. Bei einem Nachtrag handelt es sich grundsätzlich um einen vom ursprünglichen Werkvertrag losgelösten Werkvertrag über zusätzliche Leistungen (vgl. Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Dezember 2019 – 12 U 114/19 –, juris Rn. 35), der selbstständig widerrufen werden kann (Grüneberg/Retzlaff, BGB, § 650l Rn. 2; BeckOGK/Reiter, BGB, § 650l Rn. 49). Dass es sich bei den hier in Rede stehenden Nachträgen auch aus der Sicht des Beklagten um rechtlich selbstständige Verträge über zusätzlich beauftragte Leistungen handelt, kommt darin zum Ausdruck, dass der Beklagte über die Nachtragsleistungen gesonderte Rechnungen erstellt hat. Es geht somit nicht um einen (unzulässigen) Teilwiderruf eines einheitlichen Bauvertrages, sondern um den Widerruf von selbstständigen Bauverträgen.

 

c. Dass den widerrufenen Verträgen persönliche Gespräche zwischen den Parteien vorausgingen und im Falle der mit Rechnung vom 01.10.2021 abgerechneten Leistungen nach dem Vortrag des Beklagten sogar ein schriftliches Angebot vorlag, so dass der Kläger weder „unter psychischen Druck geraten konnte“ noch „einem Überraschungsmoment unterlag“, steht der Anwendbarkeit des § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht entgegen. Die Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU hat im Vergleich zur früher geltenden Rechtslage den Verbraucherschutz erweitert und hierbei gerade darauf verzichtet, als Voraussetzung aufzunehmen, dass der Verbraucher zum Vertragsschluss „bestimmt“ wurde. Für die Geltung des Widerrufsrechts des § 312g Abs. 1 BGB kommt es nunmehr ausschließlich darauf an, dass ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag i.S.v. § 312b Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt. Entscheidend ist nicht, dass der Verbraucher im konkreten Fall überrumpelt worden war oder nicht in der Lage war, eine hinreichend fundierte Entscheidung zu treffen; das Widerrufsrecht stellt vielmehr ein Schutzinstrument dar, das auf eine typisierte Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers abstellt. Maßgeblich ist allein die Vertragsverhandlung oder der Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers (OLG Celle, Urteil vom 12. Januar 2022 – 14 U 111/21 –, juris Rn. 33; Koch in: Erman, BGB, 16./17. Aufl., § 312b Rn. 1 und 17).

 

d. Das Landgericht hat auch die weiteren Voraussetzungen des Widerrufsrechts zu Recht bejaht. Insbesondere liegt keiner der in § 312g Abs. 2 BGB genannten Ausschlusstatbestände vor und war das Widerrufsrecht im Zeitpunkt der Ausübung noch nicht gemäß § 356 Abs. 3 S. 2 BGB erloschen. All dies stellt die Berufung auch nicht infrage.

 

e. Die Ausübung des Widerrufsrechts ist auch nicht treuwidrig (§ 242 BGB). Ob die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15 –, BGHZ 211, 105-123, juris Rn. 18). Dass der von dem Beklagten nicht über das Widerrufsrecht belehrte Kläger Teilabnahmen erklärt und die Rechnungen vom 06.04.2021 über 719,95 € und vom 19.05.2021 über 1.190 € bezahlt hat, lässt die Ausübung des Widerrufsrechts nicht rechtsmissbräuchlich erscheinen. Dass die Rückgewähr der von dem Beklagten erbrachten Leistungen nicht möglich ist und der Kläger gleichwohl gemäß § 357 Abs. 8 BGB a.F. (jetzt § 357a Abs. 2 BGB) keinen Wertersatz schuldet, beruht auf einer bewussten Entscheidung des (europäischen) Gesetzgebers. Die bloße Ausnutzung der bestehenden Rechtslage zum eigenen Vorteil stellt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar. Dass der Kläger keinerlei schutzwürdiges Eigeninteresse hatte, die Verträge zu widerrufen, hat der Beklagte nicht aufgezeigt.

 

2. Der Beklagte wird darauf hingewiesen, dass die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss die gleichen Gebühren auslöst wie ein Urteil mit Begründung (§ 3 GKG KV Nr. 1220). Wenn jedoch die Berufung zurückgenommen wird, bevor ein Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ergeht, ermäßigt sich die gerichtliche Verfahrensgebühr für die Berufungsinstanz nach § 3 GKG KV Nr. 1222 um die Hälfte.