Kommentar

Das Recht ist die Gelgenheit Unrecht zu begehen

von RA Niehus


von RA Ralf Niehus

http://www.oldskoolman.de/bilder/freigestellte-bilder/sehenswuerdigkeiten/justitia/
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Sprüche wie „Recht bekommen und Recht haben ist etwas anderes“ oder „Vor Gericht ist es wie auf hoher See: Man ist mit sich und Gott alleine“  sind symptomatisch für ein Rechtssystem, bei dem kein Vertrauen in die Rechtspflege besteht. Ist eine derartige, sagen wir Voreingenommenheit, gerechtfertigt ?

 

Rechtsprechung bedeutet nicht notwendig, dass Recht gesprochen wird im Sinne von Gerechtigkeit / Richtigkeit. Es bedeutet, dass nach dem Gesetz geurteilt wird. Damit stellen sich zwei Fragen:

 

-          Wird nach  dem Gesetz geurteilt ?

-          Weshalb, bejaht man Vorstehendes, wird dann nicht „richtig“ geurteilt ?

 

Schon die erste Frage stößt auf Grenzen. Es sind die Grenzen menschlicher Erfassung. Sieht man von Billigkeitsentscheidungen ab, stößt die Rechtsprechung häufig an die Grenze der richterlichen Kenntnis. Richterliche Kenntnis kann nicht umfassend angenommen werden. Denn der Richter ist kein Computer, der stets die neusten Gesetze oder gar alle Gesetze parat hat, gar die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung kennt. Nun wird sicherlich eingewandt, dann möge sich dieser Richter mit der entsprechenden Materie umfassend auseinandersetzen, nach den gesetzlichen Bestimmungen forschen. Das aber ist praxisuntauglich. Die Fallzahlen, die ein Richter zu bearbeiten hat, sprechen dagegen.  Die Fallzahlen, die zu bearbeiten sind, lassen häufig ein notwendiges intensives Studium nach Gesetzen und Rechtsprechung nicht zu. Die Fallzahlen (Vorgänge, die pro Jahr neu vom Richter zu bearbeiten sind) liegen bei Amtsgerichten am höchsten und sinken dann nach den Gerichtsstufen, wobei beim BGH am wenigsten Fallzahlen pro Richter anfallen, dieser sogar noch wissenschaftliche Assistenten zur Verfügung hat (die Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs- und Finanzgerichte sollen hier außen vor bleiben).

 

Gibt es keine Spezialabteilungen bei Amtsgerichten oder Spezialkammern bei Landgerichten und dementsprechend Spezialsenate bei Oberlandesgerichten für bestimmte Lebenssachverhalte (wie z.B. Verkehrsunfall, Wettbewerbsrecht, Arzthaftungsrecht) muss der Richter in jedem Rechtsgebiet kompetent sein, was meistens schlicht unmöglich ist. Die zunehmende Spezialisierung auf bestimmten Gebieten, eine schiere Gesetzesflut in allen Bereichen, macht es kaum noch möglich, Allrounder zu sein. Aber nicht nur dies macht der Rechtsprechung zu schaffen. Gravierender dürfte noch sein, dass auch die Juristen, die in das Richteramt gelangen, weder die notwendigen umfassenden Rechtskenntnisse haben noch sich zueignen. Dies belegt schon die Verfahrensführung, die oft verdeutlicht, dass nicht einmal Minimalien prozessualen Rechts erfasst werden, obwohl doch gerade Prozessrecht die Grundlage für Entscheidungsfindung ist. Häufig kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass schlicht aus dem Bauch heraus entschieden wird. Dies nicht einmal aus Billigkeitserwägungen (es entspricht dem Ehrgefühl, hier einer Partei zu ihrem Anspruch zu verhelfen), sondern aus Unkenntnis, und zwar auch aus Unkenntnis in fundamentale jahrzehntelange geprägte Rechtslagen und Rechtsprechung.

 

Der Verfasser hat dies schon und bekommt dies  ständig selbst mit. Sicherlich, über bestimmte Rechtsfragen lässt sich streiten. Aber es gibt auch gefestigte Rechtsprechung, die teilweise völlig übergangen wird (sogar trotz Hinweises nicht zur Kenntnis genommen wird), wie auch Gesetzesunkenntnis von alten Gesetzen besteht.

 

Der Gesetzgeber hat das Dilemma erkannt. Er hat  - um die Verfassungsbeschwerden zu Minimieren -  die Anhörungsrüge erkoren. Er sorgt also nicht für eine bessere Richterbesetzung, sondern lässt hier die Parteien eines Rechtstreites obwalten  -  sind sie schlecht beraten, wird eben ein ersichtlich falsches Urteil rechtskräftig. Weicht nämlich der erkennende Richter von obergerichtlicher Rechtsprechung ab, so hat er jedenfalls ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung zuzulassen (wenn diese nicht schon streitwertmäßig gegeben ist). Mit der Anhörungsrüge kann auch dieses Recht geltend gemacht werden, da die Nichtanhörung nicht nur einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter darstellt, sondern auch gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs. Entscheidend ist mithin die Kenntnis des eigenen Anwalts.

 

Wenn es früher hieß „Der Richter kennt das Gesetz“ (worauf tatsächlich heute noch bei entsprechenden Hinweisen der anwaltlichen Vertreter viele Richter verweisen), so ist dies falsch. Er mag vielleicht Grundlagen der Gesetze kennen, er kennt aber sicherlich nicht alle Spezialgesetze, die sich der Gesetzgeber immer wieder einfallen lässt.  Und wer kennt den Kenntnisstand des Richters ?

 

Aber auch wenn der Richter das Gesetz und die Rechtsprechung kennt, kommt es häufig zu Fehlurteilen. Dies vor dem Hintergrund von „Billigkeitsentscheidungen“. So hat der Verfasser selbst mitbekommen, dass eine Berufungskammer eines Landgerichts stets dem klagenden Geschädigten Recht gegeben hat, wenn sie davon ausging, der Schädiger ist haftpflichtversichert. Eine Entscheidung konnte dort nur zum Positiven gewandelt werden, wenn der Versicherungsschutz für diesen Fall negiert bzw. in Frage gestellt wurde. Es sind mithin menschliche Einflüsse, die gegebenenfalls eine materiell richtige Entscheidung verhindern. Einflüsse, die sich zum Teil den Parteien nicht einmal erschließen.

 

Die Entwicklung des Rechts in seiner praktischen Anwendung ist wenig vertrauenseinflößend. Sowohl im Hinblick auf die fehlende Rechtskenntnis der Richter als auch in Bezug auf (zunehmende) Billigkeitsentscheidungen. Dabei ist sogar der BGH ein Vorreiter von Billigkeitsentscheidungen: Fegt es um die Frage des konkludenten / stillschweigenden Haftungsausschlusses für Schadensfälle, so vertritt er die Ansicht, dass dies dann nicht möglich sei, wenn hinter dem Schädiger eine Haftpflicht stehe. Aber auch wenn der Haftpflichtversicherer den Schadenfall deckt, kann er doch eventuell wegen des Schadensfalls kündigen. Und dann ? Bein einer neuen privaten Haftpflichtversicherung hat regelmäßig der Versicherungsnehmer anzugeben, ob ihm vorher gekündigt wurde. Soll er nun lügen (mit der Gefahr des rückwärtigen Verlustes des Versicherungsschutzes), damit ihm  der neue Haftpflichtversicherer akzeptiert ?

 

Aber unabhängig von den  Billigkeitsentscheidungen wird hier der Prozessbeteiligte gezwungen nach einem Anwalt Ausschau zu halten, der (angeblich) auf dem in Frage kommenden Rechtsgebiet kompetent ist. Wehe aber diesem, wenn sein Gegner das Gebiet wechseln kann in ein solches, in dem der andere keine Kenntnis hat. So wird die Rechtsprechung zur Glückslotterie.

 

Dies kann auch genutzt werden. Nicht verwunderlich ist, dass immer häufiger Schriftsätze bei Gericht eingereicht werden, die sich nicht mit der Darstellung von Fakten und deren Rechtswirkung begnügen, sondern ein angebliches Leidensbild der jeweiligen Partei aufzeigen. Das dient der Stimmungsmache und soll den Richter zur gewollten Entscheidung drängen. Aber auch die Rechtsunkenntnis von Richtern verleitet häufig viele (insbesondere gewerbsmäßig klagende) Parteien den Versuch zu unternehmen, entgegen der klaren Rechtslage nach einschlägigen Gesetzen oder nach einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung, Ansprüche durchzusetzen. Ein Unterfangen, dessen Erfolglosigkeit nicht vorprogrammiert ist.

 

Hier ist es Aufgabe des Staates, für eine bessere Ausbildung und / oder Einsetzung der Richter, eventuell durch vermehrte spezielisierte Richter unf entsprechende Zuweisung Sorge zu tragen, ohne zu übersehen, dass immer eine grundlegende Kenntnis rechtlicher Zusammenhänge das Fundament korrekter Entscheidungen bildet.