Wohnungseigentum


Fehlende Beschlusskompetenz des Verbandes zum Verlangen auf  Zustimmung zur Änderung der Teilungserklärung

BGH, Urteil vom 13.10.2017 - V ZR 305/16 -

Kurze Inhaltsangabe

 

In einem Vorprozess wurde die Kostenverteilungsregelung der Gemeinschaftsordnung des Wohnungseigentümergemeinschaft, der die Parteien angehören, als unwirksam eingestuft. Einige Miteigentümer haben daraufhin eine Vereinbarung notariell beurkunden lassen, nach der Umlagenschlüssel als auch Regelungen zu Sondernutzungsrechten, Instandhaltungspflichten u.a. geändert wurden. Sie forderten die übrigen Miteigentümer zur notariellen Zustimmung auf. Mit Ausnahme des Klägers waren diese dem nachgekommen. Im Rahmen einer Wohnungseigentümerversammlung wurde dann der auf der Tagesordnung angekündigte Beschluss gefasst, die Hausverwaltung zu beauftragen und zu ermächtigen, außergerichtlich und nötigenfalls gerichtlich die noch fehlende Zustimmung des Klägers einzuholen und durchzusetzen. Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger Anfechtungsklage.

 

Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Landgericht gab ihr statt. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

 

Die Wohnungseigentümergemeinschaft habe keine Beschlusskompetenz gehabt. § 23 Abs. 1 WEG regele die Beschlussfassung zu Angelegenheiten, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) oder der Vereinbarung (Teilungserklärung / Gemeinschaftsordnung) qua Beschluss entschieden werden könne. Es fehle daher an der Beschlusskompetenz, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben sei mit der Folge, dass ein dennoch gefasster Beschluss wegen absoluter Unzuständigkeit nichtig sei.

 

Vorliegend sei die Hausverwaltung beauftragt und ermächtigt worden, von dem Kläger die Zustimmung zur Änderung der Teilungserklärung  einzuholen und auch ggf. gerichtlich durchzusetzen. Der Beschluss sei so zu verstehen, dass eine alleinige Ausübungsbefugnis des Verbandes für die Individualansprüche der Wohnungseigentümer aus § 10 Abs. 2 S. 3 WEG begründet werden sollte. Nach § 10 Abs. 2 S. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung (Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung) verlangen, wenn ein Festhalten an der bisherigen Regelung aus besonderen Gründen im Einzelfall unbillig erscheint. Die mögliche Kompetenzgrundlage des § 10 Abs. 6 S. 3 WEG käme aber vorliegend nicht zum Tragen, da es sich bei § 10 Abs. 2 S. 3 WEG um einen Individualanspruch handele und für einen solchen die Kompetenz des Verbandes nicht begründet werden könne.

 

Der BGH weist darauf hin, dass § 10 Abs. 6 S. 3 WEG sich nur auf Rechte und Pflichten aus der Verwaltung beziehe, nicht aber auf das Sondereigentum einzelner Wohnungseigentümer oder deren individuelle Mitgliedsrechte. Die Regelung in § 10 Abs. 2 S. 3 würde dem Einzelnen einen Anspruch im Einzelfall bei besonderen Umständen zuerkennen, der sich nicht auf das Gemeinschaftseigentum und dessen Veraltung bezöge, sondern ausschließlich auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gemeinschaftsverhältnisses. Zudem beträfe § 10 Abs. 2 S. 3 WEG den Kernbereich des Mitgliedschaftsrechts, der generell der Vergemeinschaftung entzogen sei. Der Änderungsanspruch diene gerade dem individuellen Schutz des Einzelnen im Innerverhältnis der Wohnungseigentümer und dieser Schutz würde zur Disposition der Mehrheit gestellt, wenn die Wohnungseigentümer den Änderungsanspruch auf den Verband gem. § 10 Abs. 6 S. 3 WEG übertragen könnten.

 

 

Die eine Änderung der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung wünschenden  Wohnungseigentümer könnten hier zwecks Vermeidung widerstreitender Entscheidungen gemeinsam klagen oder sich darauf verständigen, dass nur einer klagt. Im übrigen bliebe offen, ob hier überhaupt (gar insgesamt) die beabsichtigten Änderungen Inhalt des Individualanspruchs nach § 20 Abs. 2 S. 3 WEG sein könnten.

 

Aus den Gründen:

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 14. Zivilkammer - vom 28. September 2016 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

 

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. In einem Vorprozess wurde der in der Gemeinschaftsordnung geregelte Kostenverteilungsschlüssel von dem Landgericht als unwirksam angesehen. Daraufhin ließen einige Miteigentümer eine Vereinbarung notariell beurkunden, mit der der Umlageschlüssel geändert werden sollte, darüber hinaus aber auch die Regelungen der Teilungserklärung zu Sondernutzungsrechten, Instandhaltungspflichten und zur Art der Nutzung des Wohnungs- und Teileigentums sowie die Regelung in der Gemeinschaftsordnung über den Verwalter. Diese Vereinbarung wurde den übrigen Miteigentümern zur Kenntnis gegeben mit der Aufforderung, ihr in notarieller Form zuzustimmen.

In der Eigentümerversammlung vom 28. Juli 2015 wurde unter dem Tagesordnungspunkt „Gerichtliche Durchsetzung der Unterschrift des Miteigentümers G. [= der Kläger] zur Änderung der Teilungserklärung“ folgender Beschluss gefasst:

 

„Die Hausverwaltung wird beauftragt und ermächtigt, außergerichtlich und nötigenfalls gerichtlich, die noch fehlenden Zustimmungen der Eigentümer im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft einzuholen und durchzusetzen. […]“

Das Amtsgericht hat die von dem Kläger hiergegen erhobene Anfechtungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht die Nichtigkeit des Beschlusses festgestellt. Mit ihrer von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, möchten die Beklagten die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in ZMR 2017, 91 ff. abgedruckt ist, hält den Beschluss für nichtig, weil es der Eigentümerversammlung an der Beschlusskompetenz fehle. Die beabsichtigte Verfolgung des Anspruchs einzelner Eigentümer auf Änderung der Gemeinschaftsordnung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG durch den Verband unterfalle weder seiner geborenen noch seiner gekorenen Wahrnehmungskompetenz. Es sei in jedem Fall Voraussetzung für eine Verbandszuständigkeit, dass die verfolgten Ansprüche in dem Gemeinschaftseigentum wurzelten. Die bezweckte Änderung der Gemeinschaftsordnung betreffe das Gemeinschaftseigentum aber nur zufällig und allenfalls mittelbar. Primär sei der Anspruch gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Änderung der Grundlagenvereinbarung zwischen den Eigentümern gerichtet. Er basiere nicht auf dem dinglichen Recht am Eigentum, sondern stelle sich als Ausfluss des Rechts auf Teilhabe dar, das seinen Ursprung im Innenverhältnis der Eigentümer untereinander habe. Es handle sich um einen höchstpersönlichen Individualanspruch, der nicht vergemeinschaftet werden könne.

 

II.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass der angefochtene Beschluss wegen fehlender Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer nichtig ist.

1. Nach § 23 Abs. 1 WEG werden durch Beschlussfassung solche Angelegenheiten geordnet, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können. Anderenfalls bedarf es einer Vereinbarung. Ist eine Angelegenheit weder durch das Wohnungseigentumsgesetz noch durch Vereinbarung der Beschlussfassung unterworfen, fehlt es der Wohnungseigentümerversammlung an der Beschlusskompetenz und ist ein dennoch gefasster Beschluss aufgrund absoluter Unzuständigkeit nichtig (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2000 - V ZB 58/99, BGHZ 145, 158, 166 f.).

2. Durch den angefochtenen Beschluss wird die Hausverwaltung beauftragt und ermächtigt, im Namen der Eigentümergemeinschaft außergerichtlich, notfalls aber auch gerichtlich, die Zustimmung einzelner Eigentümer zu einer Änderung der Teilungserklärung einzuholen und durchzusetzen. Das Berufungsgericht versteht diesen Beschluss dahin, dass eine alleinige Ausübungsbefugnis des Verbandes für die Individualansprüche der Wohnungseigentümer aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Abschluss der Änderungsvereinbarung begründet werden sollte. Diese - nach objektivem Maßstab vorzunehmende - Auslegung ist nicht zu beanstanden (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 169/14, NJW 2016, 53 Rn. 5) und wird auch von der Revision nicht angegriffen.

3. Als Kompetenzgrundlage für den Beschluss kommt allein § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG in Betracht; dessen Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Für den Individualanspruch des Wohnungseigentümers aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG kann eine Ausübungsbefugnis des Verbandes nicht begründet werden.

a) Nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG übt die Wohnungseigentümergemeinschaft die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr, ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. Diese Regelung bezieht sich nur auf Rechte und Pflichten aus der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, nicht aber auf das Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer oder deren individuelle Mitgliedschaftsrechte (vgl. BeckOK WEG/Dötsch, [01.10.2017], § 10 Rn. 559; BeckOGK/Falkner, [01.11.2017], WEG § 10 Rn. 481; Bärmann/Suilmann, 13. Aufl., WEG § 10 Rn. 239).

§ 10 Abs. 2 Satz 3 WEG gewährt hingegen dem einzelnen Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Abänderung der Grundlagenvereinbarung der Wohnungseigentümergemeinschaft, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Dieser Änderungsanspruch bezieht sich nicht auf das Gemeinschaftseigentum und dessen Verwaltung, sondern ausschließlich auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gemeinschaftsverhältnisses (vgl. Senat, Urteil vom 11. Mai 2012 - V ZR 189/11, NJW-RR 2012, 1036 Rn. 8); er ist damit schon seiner Art nach von § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG nicht erfasst.

§ 10 Abs. 2 Satz 3 WEG betrifft zudem den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte der Wohnungseigentümer, der der Vergemeinschaftung von vornherein entzogen ist. Zweck der Regelung ist die Beseitigung unbilliger Härten bei dem die Änderung verlangenden Wohnungseigentümer, die diesem bei einem Festhalten an der bisherigen Regelung entstünden (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2010 - V ZR 174/09, BGHZ 186, 34 Rn. 19 sowie Versäumnisurteil vom 13. Mai 2016 - V ZR 152/15, NZM 2016, 727 Rn. 11). Folglich dient der Änderungsanspruch gerade dem individuellen Schutz des Einzelnen im Innenverhältnis der Wohnungseigentümer. Dieses individualschützende Recht würde zur Disposition der Mehrheit gestellt, wenn die Wohnungseigentümer den Änderungsanspruch des Einzelnen dem Verband nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG zur Ausübung übertragen könnten (vgl. BeckOK WEG/Dötsch, [01.10.2017], § 10 Rn. 295; aA wohl nur Kreuzer in Köhler, Anwaltshandbuch Wohnungseigentumsrecht, 3. Aufl., Teil 3 Rn. 30a). Denn ein auf dieser Grundlage gefasster Übertragungsbeschluss hätte zur Folge, dass der einzelne Wohnungseigentümer seinen Anspruch nicht mehr selbst geltend machen könnte (vgl. zu dieser Rechtsfolge der Vergemeinschaftung eines Anspruchs Senat, Urteil vom 5. Dezember 2014 - V ZR 5/14, BGHZ 203, 327 Rn. 8 ff.). Der Schutzzweck des § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG erfordert es aber, dass der einzelne Wohnungseigentümer selbst darüber entscheiden kann, ob und mit welchem Inhalt er seinen Anspruch auf Änderung einer für ihn unbilligen Regelung Gemeinschaftsordnung geltend macht.

b) An dieser rechtlichen Einordnung des Änderungsanspruchs ändert sich auch dann nichts, wenn dieser ausnahmsweise nicht von dem einzelnen Wohnungseigentümer gegenüber der Mehrheit geltend gemacht wird, sondern - wie hier - alle bis auf einen Wohnungseigentümer die Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung in einem bestimmten inhaltlichen Sinne ändern möchten. Abgesehen davon, dass höchst zweifelhaft ist, ob die hier beabsichtigten Änderungen in ihrer Gesamtheit Inhalt des Individualanspruchs aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG sein können, bleibt es den die Änderung betreibenden Wohnungseigentümern unbenommen, ihre tatsächlichen oder vermeintlichen individuellen Änderungsansprüche gegen den Kläger zu verfolgen. Entgegen der Ansicht der Revision entstehen in einer solchen Situation auch keine unüberwindbaren praktischen und rechtlichen Probleme. Der Gefahr sich widersprechender gerichtlicher Entscheidungen können die der Änderung zustimmenden Wohnungseigentümer ohne weiteres dadurch begegnen, dass sie gemeinsam klagen oder sich darauf verständigen, dass nur einer von ihnen seinen Anspruch gerichtlich gegen den Wohnungseigentümer durchsetzt, der die Zustimmung zu der gewünschten Änderung verweigert.

c) Nichts anderes folgt schließlich aus dem von der Revision angeführten Urteil des Senats vom 5. Dezember 2014 (V ZR 5/14, BGHZ 203, 327 Rn. 6 f.). Dort ging es nicht um den Individualanspruch aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG, sondern um Unterlassungsansprüche nach § 15 Abs. 3 WEG.

 

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.