Prozeßrecht


Zugang ohne Empfangsbekenntnis

BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VIII ZB 55/14 -

Das Empfangsbekenntnis (EB)  des Anwalts dient an sich u.a. zur Berechnung von Fristen. Nachdem ein Anwalt das EB trotz dreimaliger Mahnung nicht zurücksandte, erfolgte eine förmliche Zustellung. In der Monatsfrist nach förmlicher Zustellung wurde Berufung eingelegt. Diese wurde als verspätet zurückgewiesen. Zu Recht, wie der BGH meint. Durch die Nichtrücksendung des EB würde der Anwalt noch nicht zu erkennen geben, dass er nicht empfangsbereit wäre. Der Zugang könne auch anders nachgewiesen werden (hier durch Schreiben des Anwalts an seinen Mandanten über das Urteil und den Rat, Berufung einzulegen).


Aus den Gründen:


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Mai 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 182.693,40 €.

Gründe

I.

Die durch Urteil des Landgerichts vom 24. Juli 2013 unter Abweisung restlicher Vergütungsansprüche zur Leistung von Schadensersatz verurteilten Beklagten haben gegen dieses Urteil am 30. September 2013 durch ihre zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten bei dem Oberlandesgericht Berufung eingelegt. Das angefochtene Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 17. September 2013 durch Postzustellungsurkunde zugestellt worden, nachdem er auf eine von der Geschäftsstelle des Landgerichts unter dem 24. Juli 2013 verfügte Zustellung des Urteils gegen Empfangsbekenntnis das Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt und auf mehrfache Erinnerungen an die Rücksendung nicht reagiert hatte. Einen vorsorglich gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist haben die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten unter anderem dahin begründet, dass die Beklagten ihren erstinstanzlichen Bevollmächtigten mit der Einlegung der Berufung gegen dieses Urteil unmittelbar nach dessen Erhalt am 12. August 2013 beauftragt hätten, woraufhin dieser noch im August 2013 den Beklagten gegenüber wahrheitswidrig eine Berufungseinlegung bestätigt habe.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Das angefochtene Urteil sei den Beklagten zu Händen ihres früheren Prozessbevollmächtigten spätestens am 12. August 2013 zugestellt worden, so dass die am 30. September 2013 eingegangene Berufung nicht mehr innerhalb der Frist des § 517 ZPO eingelegt worden sei. Das ergebe sich aus dem zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgelegten Schriftwechsel zwischen ihren erst- und zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten. Darin sei mitgeteilt worden, dass der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte das angefochtene Urteil den Beklagten am 12. August 2013 zur Verfügung gestellt, in diesem Zusammenhang mit ihnen Gespräche über das Berufungsverfahren geführt und zur Einlegung der Berufung angeraten habe. Hierauf hätten die Beklagten unmittelbar nach Überreichung des angefochtenen Urteils den erstinstanzlichen Bevollmächtigten mit der Einlegung der Berufung beauftragt.

Die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist könne nicht gewährt werden, weil nicht davon auszugehen sei, dass die Beklagten, die sich ein schuldhaftes Versäumnis ihres früheren Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssten, unverschuldet an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen seien. Denn dieser habe, nachdem ihm unmittelbar nach Erhalt des Urteils Mitte August 2013 der Auftrag zu Berufungseinlegung erteilt worden sei, unschwer für eine rechtzeitige Einlegung der Berufung sorgen können und müssen.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbeschwerde, soweit das Berufungsgericht die Berufungsfrist für versäumt erachtet und die Berufung als unzulässig verworfen hat. Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nimmt die Rechtsbeschwerde hin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht als unzulässig verworfen, weil es ohne Rechtsfehler die Frist zur Berufungseinlegung für versäumt erachtet hat.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Urteil des Landgerichts dem gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO empfangszuständigen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten spätestens am 12. August 2013 in einer Weise zugegangen ist, welche die einmonatige Berufungsfrist des § 517 ZPO in Lauf gesetzt hat, so dass die erst am 30. September 2013 erfolgte Berufungseinlegung verspätet war. Zwar setzt die nach dem Inhalt der Akten von der Geschäftsstelle des Landgerichts nach § 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewählte Zustellung des Urteils gegen Empfangsbekenntnis gemäß § 174 Abs. 1 ZPO zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegennimmt, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (BGH, Beschluss vom 19. April 2012 - IX ZB 303/11, WM 2012, 1210 Rn. 6; Urteile vom 14. September 2011 - XII ZR 168/09, NJW 2011, 3581 Rn. 16; vom 7. Dezember 2009 - II ZR 139/08, juris Rn. 12; jeweils mwN). Zugleich ist aber auch höchstrichterlich geklärt, dass allein der Umstand, dass der Rechtsanwalt - wie hier - eine Rücksendung des ihm zu Zwecken der Beurkundung des Zustellungsempfangs übermittelten Empfangsbekenntnisses unterlässt, eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO nicht hindert, wenn neben dem tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks die weiter erforderliche Empfangsbereitschaft des Zustellungsempfängers anderweit festgestellt werden kann (BGH, Urteil vom 22. November 1988 - VI ZR 226/87, WM 1989, 238 unter II 2; BVerwG, NJW 2007, 3223).

2. Ein solcher Fall liegt hier vor.

a) Nach § 189 ZPO gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage des eigenen Vorbringens der Beklagten zu ihrem Wiedereinsetzungsantrag und der hierzu vorgelegten Unterlagen festgestellt, dass ihr erstinstanzlicher Prozessbevollmächtigter das ihm vom Landgericht übermittelte Urteil spätestens am 12. August 2013 in den Händen gehabt und seiner Partei an diesem Tage auf entsprechende Nachfrage zur Verfügung gestellt hat.

Demgegenüber rügt die Rechtsbeschwerde ohne Aufzeigen eines Zulassungsgrundes und auch sonst im Ergebnis ohne Erfolg, dass der angefochtene Beschluss keine Feststellungen dazu enthalte, in welcher Weise das Landgericht eine Zustellung veranlasst habe und ob und wie der damalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten in den - angenommenen - Besitz des Urteils gekommen sein könnte. Denn dass die dafür nach § 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO berufene Geschäftsstelle des Landgerichts das zuzustellende Urteil nebst Empfangskenntnis am 24. Juli 2013 an den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zum Zwecke der Zustellung abgesandt hat, ist in den Akten durch entsprechenden Absendevermerk dokumentiert. Wie das zuzustellende Urteil im Einzelnen zu seinem Adressaten gelangt und wann genau es bei ihm eingegangen ist, ist für den in Rede stehenden Lauf der Berufungsfrist ohne Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, dass er am 12. August 2013 im Besitz des zuzustellenden Urteils war und dass ein anderer Weg der Besitzerlangung als durch die vom Landgericht veranlasste Zustellung weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich ist.

b) Vergeblich rügt die Rechtsbeschwerde weiter, dass das Berufungsgericht in zulassungsbedürftiger Weise allein die tatsächliche Besitzerlangung am zuzustellenden Urteil für die Wirksamkeit der Zustellung als maßgeblich angesehen und dabei das Erfordernis einer demgemäß auch nicht festgestellten Empfangsbereitschaft des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten übersehen habe; die fehlende Rücksendung des Empfangsbekenntnisses sei dabei sogar als Zeichen fehlender Empfangsbereitschaft zu werten. Denn auch dem ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ungeachtet einer fehlenden Erörterung des § 189 ZPO nicht zu folgen.

Zwar kann die für eine Zustellung nach § 174 ZPO erforderliche Empfangsbereitschaft nicht allein durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs im Sinne von § 189 ZPO ersetzt werden. Hinzukommen muss noch die zumindest konkludente Äußerung des Willens, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück dem Angebot entsprechend als zugestellt entgegen zu nehmen (BGH, Urteil vom 22. November 1988 - VI ZR 226/87, aaO; BVerwG, Urteil vom 29. April 2011 - 8 B 86/10, juris Rn. 6 f.; jeweils mwN). Allerdings lässt die fehlende Zurücksendung des Empfangsbekenntnisses für sich genommen keinen entscheidend gegen eine fehlende Empfangsbereitschaft sprechenden Willen des Adressaten erkennen. Denn von einer Weigerung, das zuzustellende Schriftstück in Empfang zu nehmen, kann auch bei fehlender Rücksendung eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände gleichwohl in gegenteilige Richtung weisen und hinreichend zuverlässig auf die Empfangsbereitschaft des Adressaten schließen lassen (BVerwG, NJW 2007, aaO). Ein hierbei vom Adressaten abweichend oder gegenteilig gebildeter Wille, das ihm übersandte Schriftstück (noch) nicht als zugestellt betrachten zu wollen, ist unbeachtlich, wenn er nach außen keinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 1984 - 1 B 57/84, juris Rn. 8).

Umstände, die hinreichend zuverlässig auf eine Empfangsbereitschaft des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten schließen lassen, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Denn die Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte die erfolgte Urteilszustellung ungeachtet der unterlassenen Rücksendung des Empfangsbekenntnisses zur weiteren Grundlage seines Vorgehens gemacht hat, indem er das Urteil den Beklagten zur Verfügung gestellt, ihnen zur Berufungseinlegung geraten und einen dahin gehenden Auftrag entgegen genommen hat, lässt den sicheren Schluss zu, dass er die Zustellung gegen sich gelten lassen und seine Empfangsbereitschaft nicht in Frage stellen wollte.