Kommentar

Effektive Zwangsvollstreckung scheitert an Sparmassnahmen

Aufgabe der Rechtsordnung wegen Sparmaßnahmen ?

von RA Niehus


Der Rechtsstaat basiert auf einer unabhängigen und effektiven Judikative. Zu der Judikative zählt auch das Vollstreckungswesen. Was hilft es dem Gläubiger, erwirkt er gegen den Schuldner einen Leistungstitel und kann diesen nicht (mit rechtsstaatlichen Mitteln) vollstrecken. Es ist bereits häufig mühsam einen vollstreckungsfähigen Titel innerhalb kurzer Zeit zu erstreiten; legt es der Schuldner darauf an, kann er häufig das Verfahren längere Zeit blockieren. Ist aber dann die Vollstreckungsklausel nebst Zustellungsbescheinigung auf dem Titel erteilt, beginnt die Mühsal der Vollstreckung.


Glücklich kann sich der Gläubiger schätzen, der einen zahlungskräftigen und bei Verurteilung auch leistungsbereiten Schuldner hat.  Ist aber der Schuldner nicht zahlungsfähig und/oder nicht leistungsbereit, beginnt häufig eine aufwendige und auch sehr langwierige Odyssee für den Gläubiger. Dies wird noch zusätzlich dadurch strapaziert, dass die einzelnen Vollstreckungsschritte, zu denen nach den gesetzlichen Bestimmungen der Gerichtsvollzieher als Vollzugsorgan eingesetzt wird, schon durch die Bearbeitungszeit bei Gerichtsvollziehern häufig immens zeitintensiv sind. Es vergehen häufig mehrere Monate ehe der zuständige Gerichtsvollzieher eine beantragte Vollstreckungsmaßnahme aufnimmt; zwischen dem Versuch der Vollstreckung in bewegliches Vermögen und der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung vergehen häufig auch wiederum einige Monate. 

Dies hat zur Folge, dass selbst Vollstreckungsmandate auf Wiedervorlagen liegen um zu prüfen, ob zwischenzeitlich etwas geschah. Geschah nichts, erfolgt eine Erinnerung gegenüber dem zuständigen Gerichtsvollzieher mit einer Fristsetzung. Wird dieser wiederum nicht tätig, wird regelmäßig eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben. Diese hat häufig das Ergebnis, dass der zuständige Direktor oder Präsident des Amtsgerichts  mitteilt, der zuständige Gerichtsvollzieher sei überlastet, er sei krank und sein Stellvertreter überlastet, es gäbe zu wenig Gerichtsvollzieher. Häufig teilen dies aber auch die Gerichtsvollzieher selbst mit, wenn sie erinnert werden (s. Bild: Reaktion eines angeschriebenen Gerichtsvollziehers bei dem AG Fürth/Odenwald). Im Rahmen von zwei Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Gerichtsvollzieher bei dem AG Fürth/Odenwald erklärte der dortige Direktor des Amtsgerichts, es gäbe dort vier Gerichtsvollzieher, von denen zwei Gerichtsvollzieher wegen der Überlastung dauerhaft erkrankt sind. Die zwei verbliebenen Gerichtsvollzieher könnten die abfallenden Arbeiten nicht erledigen, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass diese nach der „Reform“ des Vollstreckungswesens nunmehr auch zur Abnahme der Vermögensauskunft (die bis dahin von Rechtspflegern erfolgte) verpflichtet sind. Mithin: Mehr Aufgaben für die Gerichtsvollzieher ohne Personalzuwachs. Das Vollstreckungssystem hat seine Leistungskapazität  überschritten. Es funktioniert nicht mehr.

Dies veranlasste mich unter Zugrundelegung der Umstände beim AG Fürth/Odenwald am 11.11.2014 den Präsidenten des Landgerichts Darmstadt anzuschreiben mit der Bitte mitzuteilen, weshalb keine Abhilfe geschaffen würde. 


Dieser teilte mit Schreiben vom 21.11.2014 mit, ihm wäre die Personalsituation bei dem Amtsgericht bekannt und  


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Schreiben an den Präsidenten des LG Darmstadt
CCF17022015_00001.pdf
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durch Abordnung eines (sic.) weiteren Gerichtsvollziehers aus einem anderen Gerichtsbezirk werde „versucht, die krankheitsbedingten längerfristigen Ausfälle … zu kompensieren“.  


Das Schreiben veranlasste mich, nunmehr den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main als nächst höhere (zuständige) Behörde anzuschreiben. 

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Antwort des Präsidenten des LG Darmstadt
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Dieser antwortete auf die Eingabe vom 01.12.2014 mit Schreiben vom 19.12.2014. Er teilte nun (teilweise in Revision der Angaben des Präsidenten des OLG Frankfurt am Main) mit, dass neben einer  Abordnung eines Gerichtsvollziehers aus dem Bezirk Bensheim (mit Wirkung zum 15.022014) ein weiterer Gerichtsvollzieher aus dem Bezirk Michelstadt (mit Wirkung zum 

01.04.2014) abgeordnet worden sei. Eine weitere Zuteilung sei wegen „der angespannten Personal- und Belastungssituation im hessischen Gerichtsvollzieherdienst“ zu Lasten anderer Amtsgerichtsbezirke nicht möglich. Weiter heißt es: „Trotz dieser Maßnahmen sowie unter Berücksichtigung der o.a. bestehenden Bezirksübertragung konnten die beiden o.a. Personalausfälle nicht vollumfänglich abgefangen werden.“ Es mutet bereits höhnisch an, wenn es dann in dem Schreiben heißt:




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Antwort des Präsidenten des OLG Frankfurt am Main
CCF17022015_00004.pdf
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„Gemäß § 5 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) in der ab 1. September 2013 geltenden Fassung darf die Erledigung der Aufträge nicht verzögert werden. Der Gerichtsvollzieher entscheidet nach pflichtgemäßen Ermessen, in welcher Reihenfolge die vorliegenden Aufträge nach ihrer Dringlichkeit zu erledigen sind. Er führt sodann die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durch. Die Frist für die Bearbeitung eines Vollstreckungsauftrags ergibt sich aus der Sachlage im Einzelfall. Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass ein mit einem vollem Pensum belasteter Gerichtsvollzieher mit den anfallenden Arbeiten ausgelastet und nicht in der Lage ist, ein weiteres volles Arbeitspensum mit zu versehen. …

Danach war und ist es unvermeidbar, dass Rückstände anliefen bzw. auflaufen.“


Dies wiederum veranlasste mich unter Beifügung der Korrespondenz das Hessische Justizministerium anzuschreiben. 

Dieses antworte auf mein Schreiben vom 07.01.2015 mit Schreiben vom 28.01.2015 und gab an, die durchschnittliche Pro-Kopf-Belastung im Gerichtsvollzieherdienst in Hessen belaufe sich auf 113,12. Das spräche zwar für eine erhöhte Personal- und Belastungssituation im Gerichtsvollzieherdienst, doch: „Anzeichen für eine grundsätzlich nicht mehr gesicherte adäquate Zwangsvollstreckung vermag ich jedoch nicht zu erkennen“.  


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Schreiben des hessischen Ministeriums der Justiz
CCF17022015_00005.pdf
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Sodann erfolgt ein pauschaler Verweis auf „Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise“ und einen finanzpolitischen Paradigmenwechsel und die auch in der Hessischen Verfassung verankerte (ab 2020 geltende) „Schuldenbremse“. Im Hinblick auf diesen Paradigmenwechsel und die Schuldenbremse (ab 2020) heißt es:


„Dies wirkt sich auch auf den finanziellen Spielraum im Bereich der hessischen Justiz aus, sodass ein maßvoller Stellenabbau in den Haushaltsjahren 2012 bis 2016 unvermeidbar war und ist.

Trotz der durch die schwierigen haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen und die Mehrbelastung aufgrund der Reform der Sachaufklärung entstandenen angespannten Personal- und Belastungssituation im hessischen Gerichtsvollzieherdienst ist es ein besonderes Anliegen der Justizverwaltung, ein effizientes Zwangsvollstreckungswesen zu gewährleisten.“


Der letzte Satz wird eher einem Parteiprogramm gerecht, an welches sich nach einer Wahl niemand der Verantwortlichen mehr erinnert, als der tatsächlichen Situation. Wenn bereits in dem Schreiben selbst ein weiterer Personalabbau festgehalten wird, die angespannte derzeitige Situation bekannt ist, die zu Verzögerungen in der Vollstreckung führt, kann nicht mehr davon die Rede sin, dass ein effizientes Zwangsvollstreckungswesen ein besonderes Anliegen des Justizministeriums resp. der politisch Verantwortlichen ist.

 

Die tägliche Erfahrung im Bereich der Zwangsvollstreckung verdeutlicht, dass ein wesentlicher Zweig der rechtsstaatlichen Ordnung schlicht nicht mehr funktioniert. Die Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main und des Hessischen Justizministerium lassen auch keine Hoffnung auf eine Besserung der Situation zu.  Letztlich wird nur der unbehelfliche Versuch unternommen, eine desolate Situation durch Verschiebungen zu verwalten, ohne letztlich das eigentliche Problem, die Personalknappheit an Gerichtsvollziehern, zu lösen. Im Gegenteil: Weiterer Personalabbau wird angekündigt. Wenn aber der Staat (hier: das Land Hessen) bei mehr Steuereinnahmen meint, in die Justiz nicht zu investieren, opfert er das Rechtsstaatssystem einem ideologischem Paradigmenwechsel. Es gibt sicherlich genügend Bereiche, um Einsparungen vorzunehmen; weshalb dies im Bereich der Zwangsvollstreckung erfolgt, ist unerfindlich. Soll der Gläubiger veranlasst werden, selbst tätig zu werden ? Dafür müsste er Mittel anwenden, die mit der Rechtsordnung nicht vereinbar wären. Und er müsste sich auch nicht zunächst zeit- und kostenintensiv sich um einen Titel zur Vollstreckung bemühen. 


Die Wahrung der Rechtsordnung kann nicht davon abhängig sein, ob einen "finanzpolitischer Paradigmenwechsel" stattfand oder stattfindet. Wenn der Staat nicht den Willen aufbringt, eine effektive Rechtsdurchsetzung mit rechtsstaatlichen Mitteln zu gewährleisten, gibt er die Rechtsordnung auf.