Leasingrecht


Deliktische Vorteilsausgleichung gegen Hersteller und Nutzungsvorteil

BGH, Urteil vom 05.03.2024 - VI ZR 466/19 -

Kurze Inhaltsangabe (mit erläuternden Anmerkungen)

 

Der Kläger hatte mit der M.-Leasing GmbH einen Leasingvertrag über ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug abgeschlossen (Laufzeit bis 14.05.2021) und machte im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend. Mit seiner Klage verlangte u.a.  Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs die Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs, hilfsweise Zahlung von € 11.737,72 nebst Zinsen und Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung weiterer Leasingraten. Die Klage wie auch die gegen das klageabweisende Urteil eingelegte Berufung (Berufungsurteil vom 21.10.2019) wurden zurückgewiesen. Seine Revision gegen das Berufungsurteil wurde vom BGH zurückgewiesen.

 

Der Hauptantrag auf Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs gegen Rückgabe und Rückübereignung des schadhaften Fahrzeugs sei zutreffend zurückgewiesen worden, da diese nicht auf Ersatz des allein in Betracht kommenden negativen Interesses, sondern auf das positive Erfüllungsinteresse gerichtet sei (u.a. BGH, Urteile vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20 - und vom 01.12.2022 - VII ZR 492/21 -). Anmerkung: Das positive Interesse (Erfüllungsinteresse) setzt das Bestehen einer Verbindlichkeit und eine Nicht- oder Schlechterfüllung voraus. Zwischen dem verklagten Hersteller des Fahrzeugs und dem Kläger besteht aber kein Schuldverhältnis (z.B. infolge Kaufvertrag), vielmehr beruht der Anspruch auf Delikt (§§ 823, 826 BGB). Der Anspruch richtet sich damit auf das negative Interesse (Erhaltungsinteresse; BGH, Urteile vom 18.01.2011 - VI ZR 325/09 - und vom 14.05.2012 - II ZR 130/10 -).

 

Der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch würde nicht bestehen, da der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile der Höhe nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis entspräche und dies sowohl etwaige Ansprüche aus § 826 BGB (Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung) als auch etwaige Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. den einschlägigen Abgasnormen ausschließe (BGH, Urteile vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20 - und 24.10.2023 - VI ZR 131/20 -). Anmerkung: Bereits in seinem Urteil vom 16.09.2021 hatte der BGH eine Bewertung der Nutzungsvorteile auch im Fall des Leasings im Rahmen des Vorteilsausgleichs nach der für den Fahrzeugkauf anerkannten Berechnungsformel (Fahrzeugpreis mal Fahrstrecke geteilt durch Laufleistungserwartung) abgelehnt und für den Fall der deliktischen  Vorteilsausgleichung bei einem Leasingfahrzeug nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis den Verzug gegeben (a.A. war u.a. das OLG Koblenz im Urteil vom 02.11.2020 - 12 U 174/20 -). Den Unterschied zwischen einem geleasten Fahrzeug und einem gekauften Fahrzeug bei der Bewertung begründete der BGH in seinem Urteil vom 16.09.2021 damit, dass der Leasingnehmer eine andere Investitionsentscheidung als der Käufer treffe; es sei nicht unbillig, dass ihn über die Vorteilsanrechnung der überproportionale Wertverlust des Fahrzeugs treffe, während der Käufer von der linearen Berechnung des Nutzungsvorteils profitiere, da der Leasingnehmer grundsätzlich nicht die Möglichkeit erwerbe,  die gesamte Laufleistungswertung (kostengünstig) auszunutzen (die Realisierung des anfänglichen Wertverlustes sei seiner Investitionsentscheidung immanent).

 

Der Kläger habe nicht geltend gemacht, dass der objektive Leasingwert, auf den es für die Vorteilsausgleichung ankäme, im Streitfall geringer gewesen wäre, wofür auch nichts ersichtlich sei.

 

Der BGH ließ (auch hier) dahinstehen, ob dann eine andere Betrachtung geboten sei, wenn von vornherein feststehen würde (so aufgrund vertraglicher Vereinbarung), dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernehmen würde, da dies weder den Vertragsunterlagen noch dem Parteivortrag zu entnehmen sei. Anmerkung: Der BGH hat, soweit ersichtlich, in den sogen. Dieselfällen noch keine Entscheidung dazu getroffen, wie die Bewertung im Falle einer vertraglich vereinbarten Übernahme des Fahrzeugs am Ende der Leasingzeit oder im Falle einer gewährten Kaufoption vorzunehmen ist (vgl. Urteile vom 16.09.2021 – VII ZR 192/20 -; 21.04.2022 – VII ZR 783/21 -; 21.04.2022 - VII ZR 285/21 -).

 

 

Der weiterhin als Hilfsantrag gestellte Freistellungsanspruch wurde als „ins Leeere gehend“ abgewiesen, da das Leasingverhältnis während des seit 2019 anhängigen Revisionsverfahrens am 14.05.2021 endete.

 

Aus den Gründen:

 

 Tenor

 

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. Oktober 2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

 

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

 

Der Kläger schloss im Mai 2017 mit der Mercedes Benz Leasing GmbH einen Leasingvertrag über einen von der Beklagten hergestellten Pkw Mercedes-Benz E 350 T CDI mit einer Laufzeit bis zum 14. Mai 2021 ab. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 Schadstoffklasse 6 ausgestattet. Es ist von einem Rückruf durch Bescheid des Kraftfahrtbundesamts (KBA) vom 3. August 2018 betroffen, gegen den die Beklagte Widerspruch eingelegt hat.

 

Die Abgasreinigung des Fahrzeugs erfolgt über die Abgasrückführung (AGR), bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Bei kühleren Temperaturen wird die Abgasrückführung reduziert ("Thermofenster").

 

Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 16. März 2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs einen vergleichbaren PKW zu liefern.

Der Kläger macht geltend, das Thermofenster sei eine verbotene temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung. Außerdem existierten mehrere Softwarefunktionen, um die Schadstofftests auf dem Prüfstand zu bestehen.

 

Mit der Klage verlangt der Kläger (1.1) - Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs - die Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs, hilfsweise (1.2) die Zahlung von 11.737,72 € nebst Zinsen und Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung weiterer Leasingraten, sowie (2) die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und (3) die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

 

I.

 

Das Berufungsgericht (WM 2019, 2222) hat - soweit im vorliegenden Zusammenhang relevant - ausgeführt, dass sich ein Schadensersatzanspruch nicht aus § 826 BGB ergebe. Das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, sei nicht als sittenwidriges Verhalten einzustufen.

 

Soweit sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung darauf stütze, dass die Beklagte das Fahrzeug mit weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen (Abschaltung der Abgasreinigung nach definierten Zeit-, Strecken- und Schadstoffausstoßparametern) in Verkehr gebracht habe, sei er mit diesem Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, da Zulassungsgründe nicht vorgetragen würden. Selbst wenn der Vortrag des Klägers als nicht verspätet angesehen würde, wäre er nicht hinreichend. Die nunmehr aufgestellte Behauptung stelle eine reine Rechtsbehauptung dar.

 

Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ergäben sich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder i.V.m. Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise §§ 6, 27 EG-FGV. Bei den Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise §§ 6, 27 EG-FGV handele es sich nicht um Schutzgesetze.

 

II.

 

Die Revision ist zurückzuweisen, da sich das Berufungsurteil jedenfalls im Ergebnis als richtig darstellt (§ 561 ZPO).

1. Die Klage ist im Hauptantrag 1.1 (Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug des Klägers Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs des Klägers an die Beklagte) unbegründet, weil dieser nicht auf den Ersatz des - hier allein in Betracht kommenden - negativen Interesses, sondern auf das (positive) Erfüllungsinteresse gerichtet ist (vgl. dazu Senat, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 14; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - VII ZR 492/21, juris Rn. 12). Daher hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Verzug befindet (Hauptantrag 2). Entsprechend kann der Kläger nicht Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten verlangen (Hauptantrag 3).

 

2. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz (Hilfsantrag 1.2), weil - auch bei Unterstellung einer Haftung dem Grunde nach - der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile der Höhe nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis entspricht und dies sowohl etwaige Ansprüche aus § 826 BGB als auch etwaige Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den einschlägigen Abgasnormen ausschließt (vgl. dazu BGH, Urteile vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 40 ff.; vom 21. April 2022 - VII ZR 783/21, NJW-RR 2022, 1104 Rn. 17; vom 21. April 2022 - VII ZR 247/21, ZIP 2022, 1281 Rn. 19; vom 21. April 2022 - VII ZR 285/21, NJW-RR 2022, 1678 Rn. 17; Senat, Urteil vom 24. Oktober 2023 - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 43 ff., 51; Beschlüsse vom 11. Dezember 2023 - VI ZR 411/20, juris; vom 11. Januar 2024 - VI ZR 1361/20, juris).

 

Dass der objektive Leasingwert, auf den es für die Vorteilsanrechnung ankommt, im Streitfall geringer gewesen wäre als der vereinbarte Leasingpreis, macht der Kläger nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich (vgl. dazu BGH, Urteile vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 47; vom 21. April 2022 - VII ZR 783/21, NJW-RR 2022, 1104 Rn. 20; vom 21. April 2022 - VII ZR 247/21, ZIP 2022, 1281 Rn. 21; vom 21. April 2022 - VII ZR 285/21, NJW-RR 2022, 1678 Rn. 18).

 

Ob eine andere Betrachtung dann angezeigt ist, wenn aufgrund der Vertragsgestaltung von vornherein feststeht, dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernehmen wird, kann dahinstehen (vgl. dazu BGH, Urteile vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 41, 42 a.E.; vom 21. April 2022 - VII ZR 783/21, NJW-RR 2022, 1104 Rn. 18; vom 21. April 2022 - VII ZR 247/21, ZIP 2022, 1281 Rn. 20; vom 21. April 2022 - VII ZR 285/21, NJW-RR 2022, 1678 Rn. 21). Eine derartige Vertragsgestaltung ist im Streitfall weder den Feststellungen des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Vertragsunterlagen noch dem gemäß § 559 Abs. 1 ZPO beachtlichen Parteivorbringen zu entnehmen.

 

Der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Freistellungsanspruch geht ins Leere, da der Leasingvertrag am 14. Mai 2021 endete.